Bericht von Ingrid Reimer aus dem Materialdienst der EZW 9/1989 S. 275-282
University Bible Fellowship (UBF)
Mit dem Auftreten der sogenannten „Jugendreligionen“ hat sich ein Wandel bei der Beurteilung religiöser Erscheinungen vollzogen. Zwar gab es zu allen Zeiten extremere religiöse Gruppen, in denen autoritäre Strukturen, Gesetzlichkeit, innere Zwänge usw. vorherrschten. Doch seit den 70er Jahren bekam die Auseinandersetzung mit „destruktiven Kulten“ eine starke Öffentlichkeitswirkung. Die auftretenden Probleme wurden intensiver auch von psychologischer und soziologischer Seite aus untersucht. Damit entstanden bestimmte Vorstellungen, was die „Sekten“ kennzeichnet. Solche an extremen Gruppierungen festgestellten Merkmale wurden dann zu Maßstäben für die Beurteilung religiöser Phänomene überhaupt. Dabei ist freilich Vorsicht geboten, denn man kann so zu einseitigen Ergebnissen kommen. Unter bestimmten Voraussetzungen können „destruktive“ Merkmale durchaus auch bei kirchlichen Gemeinschaften oder Aktionsgruppen gefunden werden, in denen die Nachfolge Jesu ernst genommen und eine engagierte Frömmigkeit unter Hintansetzung persönlicher Bedürfnisse gelebt wird. Jede Bekehrung, eine engere Beichtpraxis, verbindliche Glaubensformen können als „Indoktrination“, „Gedankenkontrolle“, „Gehirnwäsche“ usw. gedeutet werden. Es ist daher wichtig, jede Gruppe unter verschiedenen Aspekten wahrzunehmen. Dies soll im folgenden bei UBF versucht werden – einer aus Korea stammenden missionarischen Studentenorganisation, die bei uns eine sehr unterschiedliche Beurteilung erfahren hat. Auf der einen Seite wird sie als „evangelikale“ Gruppierung eingeschätzt, mit der man in ein brüderliches Verhältnis treten kann, auf der anderen Seite wird sie den „sogenannten Jugendsekten“ zugeordnet. Aus UBF-Broschüren und -Informationsmaterial, aus Kontakten mit UBF-Verantwortlichen, Besuch von Veranstaltungen und Begegnung mit ehemaligen UBF-Mitgliedern versuchten wir, uns ein eigenes Bild von dieser Gemeinschaft zu machen.
Der koreanische Ursprung
»University Bible Fellowship«, im Deutschen nicht ganz glücklich wiedergegeben mit »Universität Bibel Freundschaft«, ist 1961 in Korea entstanden: Samuel Lee, der eine kleine Gemeinde in Korea betreute, traf mit Sarah Barry zusammen, die als Missionarin der Southern Presbyterian Church der USA nach Korea gekommen war. Beide „erkannten – unter dem Eindruck großer Studentenunruhen – die geistliche Not gerade der studentischen Jugend ... und richteten an der Universität Bibelkurse ein.“ Die damit entstandene Organisation wuchs rasch. In Korea kommen im Rahmen von UBF momentan (1988) an 100 Hochschulen 8000 Studenten zum Bibelstudium zusammen. Ungefähr 450 Mitarbeiter wurden bisher in etwa 20 Länder ausgesandt. Bei uns sind zur Zeit etwa 90 Koreaner tätig.
In die Bundesrepublik Deutschland kam UBF 1969 als koreanische Mission. Zunächst waren es Frauen, die meist als Krankenschwestern hier Arbeit fanden und vorwiegend unter ihren Landsleuten und Kolleginnen missionarisch wirkten. Männer kamen nach, zum Teil als Ehemänner der bereits hier weilenden Schwestern. Sie erhielten die Aufenthaltsgenehmigung meist als Studenten. Seit 1978 steht auch bei uns die Hochschulevangelisation im Vordergrund. Die gegenwärtig etwa 10 Hochschulgruppen werden von Koreanern getragen. Etwa 100 Deutsche haben sich zur Mitarbeit entschieden. Derzeit kommen zwischen 200 und 300 Studenten wöchentlich zum Bibelstudium.
Leiter in Deutschland ist Abraham Lee in Köln, wo sich das deutsche Zentrum befindet. Er hat Biologie studiert und eine Ausbildung an einem reformierten Theologischen Seminar in Seoul absolviert.
Evangelikaler Hintergrund
In einem kleinen UBF-Prospekt wird als „Ziel“ formuliert: „Die University Bible Fellowship ist eine evangelistische (englische Fassung: evangelical) Studentenorganisation, die sich der Hochschulevangelisierung widmet. Unser Hauptanliegen besteht darin, Studenten zu helfen, die Bibel zu studieren und nach deren Lehren zu leben.“ – Eingeladen wird zu einem „persönlichen Bibelstudium“, bei dem „in Zweiergruppen jeweils ein Buch der Bibel abschnittsweise durchgearbeitet wird.“ – „Wir sind Studenten und haben erfahren, daß dieses Evangelium von der Macht der Sünde und des Todes errettet. Deshalb möchten wir, daß dieses Evangelium unter den Studenten bekannt wird. Unser Hauptanliegen ist es, den Studenten das Wort Gottes, die Bibel, nahezubringen und ihnen zu helfen, Jesus Christus persönlich kennenzulernen.“ Diese Texte könnten durchaus auch von anderen evangelikalen Studentengruppen stammen, wie »Campus für Christus«, »Studentenmission in Deutschland« (SMD) oder den »Navigatoren« (die auch mit der Methode von Zweiergruppen nach vorgegebenem Material arbeiten).
Ja, in ihrer gesamten Lehre unterscheidet sich UBF kaum von anderen traditionell-christlichen Gruppierungen (wobei freilich auch der reformierte Hintergrund zu spüren ist). Ihre elf zusammenfassenden Glaubenspunkte (What we believe) entsprechen evangelikal-fundamentalistischen Bekenntnissen, wie sie auch andere missionarische Gruppen formuliert haben und wie sie in der Basis der Evang. Allianz festgelegt sind. In einem einleitenden Satz werden diese Punkte auf die Bibel bezogen: „Wir glauben, daß die Bibel folgende grundlegende (fundamental) christliche Wahrheiten lehrt.“ Nach dem Bekenntnis zum trinitarischen Gott sowie zur Inspiration der Bibel durch Gott und ihrer Autorität für Glauben und Handeln folgen die Abschnitte dem Aufriß des apostolischen Bekenntnisses: Gott als Schöpfer, souveräner Herrscher, Erlöser und Richter; das Erlösungswerk Christi durch sein Sühnopfer („er allein kann uns aus Sünde und Gericht retten“); das Werk des Heiligen Geistes als notwendige Erneuerung (regeneration – die Begriffe „Wiedergeburt“ und „Heiligung“ kommen nicht vor); Kirche als Leib Christi; Wiederkunft Christi zum Gericht. In einem eigenen Punkt wird die Sündhaftigkeit des Menschen, deren Lohn das Gericht und der Zorn Gottes sind, hervorgehoben.
UBF versteht sich selbst bei uns als (kooperationsbereite) evangelikale Gruppierung und wird zum Teil von anderen evangelikalen Organisationen auch akzeptiert. In Stuttgart z. B. arbeitet UBF mit den an der dortigen Universität wirkendenden Studentengruppen zusammen, und Mitglieder von UBF haben sich nicht nur in Stuttgart der Evangelischen Allianz angeschlossen. Die Grundlage für solches Zusammenwirken besteht vor allem in dem gemeinsamen missionarischen Anliegen. Daß man miteinander beten kann, verstärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Freilich liegen auch Informationen vor, daß gewisse zeitweilig bestehende Kontakte abgebrochen wurden. Die anfangs in Korea praktizierte engere Zusammenarbeit mit »International Fellowship of Evangelical Students« (IFES) oder dem »Bibellesebund« (Scripture Union), auf die auch in neueren UBF-Darstellungen hingewiesen wird, besteht zum Beispiel heute – laut Auskunft dieser Organisationen – nicht mehr, weil sich UBF zu einseitig entwickelt habe. Andererseits wurde UBF in Korea in den »Koreanischen Rat Christlicher Missionsgesellschaften« aufgenommen.
Wie das Verhältnis zu den christlichen Kirchen in Korea im einzelnen aussieht, läßt sich von hier aus schlecht recherchieren. Aus der von UBF mitgeteilten Formulierung „UBF arbeitet als unabhängige Gemeinschaft unter dem Dach der Presbyterianischen Kirche Koreas“ und der Tatsache, daß 1988 zwei in Deutschland wirkende UBF-Missionare, darunter auch der deutsche Leiter Abraham Lee, durch presbyterianische Koreaner zu Pastoren ordiniert wurden, geht nicht viel hervor, da bekannt ist, daß es in Korea viele presbyterianische Kirchen und Spaltungsgruppen gibt. Die Presbyterianische Kirche, mit der die EKD in Beziehung steht, weiß jedenfalls nichts von positiven Beziehungen zu UBF in Korea. Auch von anderer Seite wurde uns berichtet, daß UBF in Korea ziemlich isoliert stehe und zu den traditionellen Kirchen keine Kontakte habe.
Gemeinschaftsleben und Glaubenspraxis innerhalb der UBF-Gruppen
Wenn man UBF unter der Vorgabe betrachtet, es handle sich um eine evangelikale Studentenorganisation, die man nach ihren Lehrinhalten beurteilen und einordnen kann, kommt man an das Wesen dieser Gruppe noch nicht heran. Da bei UBF die missionarisch tätigen Mitarbeiter ein engeres Gemeinschaftsleben praktizieren, spielt die Frage nach der Glaubenspraxis und den Strukturen des Gruppenlebens innerhalb der Mitarbeiterschaft, auch die Art, wie Mitarbeiter gewonnen werden, eine entscheidende Rolle.
Für den, der neu zu UBF stößt, bildet das Bibelstudium den ersten Einstieg. In der Regel wird man dazu von einem Mitarbeiter persönlich eingeladen; mit ihm führt man dann das Zweierstudium (Eins-zu-eins-Studium) durch, wohl meist in der Studentenbude bzw. Wohnung des einen oder anderen. In der Regel werden einzelne biblische Bücher fortlaufend Vers für Vers durchgenommen, wobei vorgegebenes Material (mit Fragen zu den Textabschnitten) zugrundegelegt wird. Der Grundcharakter ist biblizistisch-erwecklich, die Auslegung geschieht in einer stark persönlichen Art und geht auch auf Glaubens– und Lebensfragen ein.
Das Zweierverhältnis zwischen Lehrer und Schüler – hier „Hirte“ und „Schaf“ genannt – bedeutet ein intensives Miteinander und bietet natürlich auch die Möglichkeit einer sehr direkten Beeinflussung, etwa wenn vom Glauben her persönliche Entscheidungen getroffen werden sollen. Wie das im einzelnen gehandhabt wird, ist nicht nur eine Frage der „theologischen“ und seelsorgerlichen Fähigkeiten der jeweiligen „Hirten“. Vielmehr gehört es zum System, daß diese Zweierschaft eine Unterordnung des Schülers unter den Lehrer bedeutet. Dieses Gehorsamsverhältnis durchzieht die ganze Struktur der Gruppe. Was der Wille Gottes ist hinsichtlich Fragen des persönlichen Lebens (Ehe, Familie, Wohnung, Arbeit, Geldeinteilung, Lebensstil usw.), erfährt man über den Hirten.
Dieses System ist ohne weiteres zu verstehen aus dem fernöstlichen Hintergrund: In Korea ist die ganze Gesellschaft, angefangen von der Familie und den Vereinen bis zu den Betrieben und Arbeitsverhältnissen hierarchisch strukturiert.
Im christlichen Bereich gibt es seit den 60er Jahren in Nordamerika eine spezielle Bewegung innerhalb evangelikaler und vor allem charismatischer Kreise, die nach dem Lehrer-Schüler-Prinzip arbeitet. Das heißt, daß „jeder Jünger fast jeden Bereich seines Lebens einem Hirten unterwirft, und jeder Hirte sein Leben einem anderen Hirten unterwirft in einer pyramidenartigen Struktur“ (Watson, Jüngerschaft). Dieses »Discipleship Movement«, auch unter dem Namen »Shepherding« bekannt geworden, hat zum Teil zu Auseinandersetzungen in den Gemeinden und Gruppen geführt. Man warf u. a. der Bewegung vor, daß die Entscheidungsfähigkeit der einzelnen zu sehr eingeschränkt werde, daß der „Hirte“ zum Sprachrohr für den Willen Gottes werden könne, daß die hierarchischen und autoritären Formen nicht aus der Bibel abzuleiten seien. Ob UBF von dieser amerikanischen Bewegung mitbeeinflußt wurde, ist uns nicht näher bekannt.
Eine Besonderheit bei UBF ist das sogenannte „Sogam“. Dieses aus dem Chinesischen stammende Wort bedeutet so viel wie „seine persönlichen Eindrücke, Gedanken, seine eigene Einstellung“ (zum Ausdruck bringen). „Sogam“ ist bei UBF eine persönliche Stellungnahme, eine auf die eigene Lebens- und Glaubenssituation bezogene biblische Auslegung, die schriftlich ausgearbeitet wird. Der einzelne bringt zum Ausdruck, was der Bibeltext für ihn bedeutet. Ein Sogam enthält in der Regel ein Schuldbekenntnis: das Eingeständnis, daß man Gott den nötigen Gehorsam schuldig geblieben sei, daß man sich noch nicht völlig Jesus ausgeliefert habe, daß man im missionarischen Dienst lässig gewesen sei, oder daß man sich der Liebe Gottes zu wenig geöffnet habe. Solche Sogams werden bereits im Rahmen des Bibelstudiums von den „Schafen“ ausgearbeitet und mit dem Hirten zusammen – oft in mehrmaligen Durchgängen – besprochen und korrigiert. Wenn das Sogam eine bestimmte „geistliche Reife“ erreicht hat – das heißt wohl, wenn es in seiner Ausformung und Aussage den Vorstellungen von UBF entspricht –, kann es in der Versammlung vor den anderen vorgetragen werden.
Bei den Zusammenkünften – beim Bibelabend oder bei Mitarbeitertreffen – werden von den einzelnen Mitarbeitern der Reihe nach solche vorbereiteten Bibelauslegungen vom Rednerpult aus heruntergelesen, was meist ziemlich gleichgültig und ausdruckslos geschieht. Da sich diese Sogams formal und inhaltlich recht ähnlich sind, vermittelt eine solche Zusammenkunft den Eindruck, hier werden Pflichtübungen absolviert. Wieweit solche persönlichen Aussagen und Bekenntnisse aus einer echten Gottesbeziehung kommen und wieweit sie durch das vorgegebene Muster festgelegt sind, läßt sich dabei schwer feststellen. Jedenfalls lebt der UBF-Mitarbeiter, der jede Woche ein Sogam zu liefern hat, ständig in dem Gefühl, sein Tun und Lassen, sein Denken und Fühlen verantworten zu müssen nicht nur vor Gott, sondern auch vor der Gruppe. Ob er das selbst als Zwang empfindet oder als Hilfe, in seinem geistlichen Leben weiterzukommen, wird sich kaum objektiv erheben lassen. Daß die Praxis der Sogams, besonders in der Kombination mit der Bindung an den „Hirten“, zu einem Instrument werden kann, mit dem seelischer Druck ausgeübt wird, ist keine Frage. Mit Berufung auf die Autorität der Bibel können alle möglichen Entscheidungen als der Wille Gottes ausgegeben werden und bekommen damit eine entsprechende Legitimation. Es ist zu beobachten, daß bei den biblischen Auslegungen eine besondere Betonung auf Nachfolge, Gehorsam, Jüngerschaft, Sendung und Mission liegt. In diese Richtung werden die Mitarbeiter ständig geprägt.
Mitarbeiterschaft
Wie wird man nun Mitarbeiter bei UBF, wer gehört zur Mitarbeiterschaft? Einen „Eintritt“ in die Gemeinschaft – als bewußten Schritt mit entsprechender Verpflichtung – gibt es offenbar nicht; die Verantwortlichen betonen das ausdrücklich. Vielmehr kommt man schrittweise in eine immer stärkere Verbindlichkeit, was der fernöstlichen Art einer stufenweisen Einführung in jeweils höhere Erkenntnisgrade entspricht. Die Entscheidung zur Mitarbeit bei UBF kann in einem Sogam zum Ausdruck gebracht werden, doch ist das keine Regel.
Von verschiedenen Seiten wird immer wieder bezeugt, daß bereits das Bibelstudium darauf angelegt ist, Mitarbeiter für UBF zu gewinnen. Es wird sogar behauptet, daß UBF an Leuten, die für diesen Dienst nicht in Frage kommen – etwa weil sie schon älter sind oder durch Ehe und Familie bereits gebunden sind, kein besonderes Interesse hat. Von der Bibel her werden die Bibelschüler zu der Überzeugung gebracht, daß Gott sie in den Dienst der Hochschulevangelisation berufen will. Dies wird immer wieder in die Gebete aufgenommen, ja für bestimmte Leute, die sich für die Mitarbeit entscheiden sollen, wird gezielt gebetet. Das verstärkt den Druck in dieser Richtung.
Als Mitarbeiter ist man sogleich „Hirte“. Das heißt, man wird missionarisch tätig, versucht, durch Kontaktnahme zu einzelnen Studenten, vorrangig in den Wohnheimen, Interessenten für das Bibelstudium zu gewinnen. Außerdem wird erwartet, daß man an den verschiedenen Zusammenkünften der Mitarbeiter (mehrere Abende in der Woche, Samstag nachmittag, Sonntag nachmittag) teilnimmt, ebenso an den Gebetszeiten (täglich am frühen Morgen, vor bestimmten Veranstaltungen, nach dem Gottesdienst am Sonntag nachmittag). Dann gibt es größere Konferenzen, die in den Gruppen intensiv vorbereitet werden. Jede Woche müssen Sogams und Botschaften (Ansprachen) ausgearbeitet werden. Über die missionarischen Aktivitäten, über Erfolge und Mißerfolge muß innerhalb der Gruppe Rechenschaft abgelegt werden.
Wer besondere Kurse durchläuft, wird Missionar und kann auch in andere Länder ausgesandt werden. (Die Koreaner, die bei uns in den UBF-Gruppen wirken, sind alle „Missionare“). Sie verdienen in der Regel ihren Lebensunterhalt durch eigene Berufsarbeit; oft sind sie teilzeitig beschäftigt.
Die Mitarbeiter sind, wie man sieht, stark beansprucht. Automatisch müssen sie andere Beziehungen und Interessen einschränken, auch die familiären Bezüge werden zweitrangig. Immer stärker werden sie in die UBF-Strukturen eingebunden. Die Zugehörigkeit zu UBF bedeutet, sich voll und ganz in den Dienst der Gruppe zu stellen und sich auf ein hohes Maß an Verbindlichkeit einzulassen. Man fügt sich in Gehorsamsstrukturen ein, in denen auch Formen von Bestrafung akzeptiert werden, wie sie bei uns kaum im Kindergarten vorkommen dürften (Einsperren, In-der-Ecke-stehen, Schläge). Bestehende Freundschaften werden abgebrochen, wenn der Partner sich nicht ebenfalls dem UBF-System einordnen will. ja, man läßt es sogar geschehen, daß der zukünftige Ehepartner von UBF bestimmt wird. Diese Praxis der „Verheiratung“ – in der koreanischen Gesellschaft auch heute noch weitgehend üblich – scheint in Deutschland nicht unbedingte Regel zu sein, wird aber von den Verantwortlichen auch nicht geleugnet. Dem entspricht, daß persönliche Gefühle überhaupt unterdrückt werden. So wird berichtet, daß man selbst nach längerer Zeit nicht merkt, daß sich unter den Mitarbeitern, mit denen man fast täglich zusammenkommt, auch Ehepaare befinden! Jede Anbahnung von Freundschaften zwischen den Geschlechtern wird unterbunden. „Lüsterne Gefühle“ werden im Sogam „gebeichtet“. Vermutlich darf es auch in der Ehe keine Leidenschaft geben. Auf jeden Fall ist auch das Ehe- und Familienleben dem missionarischen Dienst untergeordnet.
Es ist daher verständlich, daß aufgrund all dieser Erfahrungen an UBF heftige Kritik geübt wird und daß man Parallelen zu den sog. „Jugendreligionen“ zieht. So behandelt Pastor Joachim Keden UBF in seinem Büchlein über »Sogenannte Jugendsekten und die okkulte Welle« unter der Rubrik „Twilight-Mission“ und nennt entsprechende Gefahren- und Kritikpunkte. In der soeben erschienenen 5. Auflage (Aussaat Verlag Neukirchen-Vluyn 1989) hat Keden seine Darstellung von UBF erweitert und durch mehrere authentische Zeugnisse untermauert.
UBF – Aktionsgruppe, Kommunität, Gemeinde?
Angesichts der sehr engen Gemeinschaftsbindung muß gefragt werden, ob UBF als „missionarische Aktionsgruppe“ richtig bestimmt ist. Erscheint nicht eher ein Vergleich mit Ordensgemeinschaften oder Kommunitäten sinnvoll? Ähnlich wie bei UBF stellen sich auch in Ordensgemeinschaften oder Kommunitäten die Mitglieder ganz in den Dienst der Nachfolge, sie gehen Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten weitgehend auf und verzichten auf finanzielle Unabhängigkeit, von ihnen wird Anpassung an die Gemeinschaft und Unterordnung erwartet, sie fügen sich in eine feste spirituelle Ordnung ein, zu der meist auch eine strengere Beichtpraxis gehört.
Doch sind da entscheidende Unterschiede: Wer sich für einen Orden interessiert, der weiß, worauf er sich einläßt. Lange Vorbereitungszeiten (Noviziat) mit bewußten Entscheidungen bis zum endgültigen „Gelübde“ entsprechen dem Gewicht eines solchen Schrittes. Bei UBF kommt man stufenweise in ein immer engeres Abhängigkeitsverhältnis, ohne zu erfahren, was bei dieser Gemeinschaft letztlich dahintersteht. Ein Orden stellt eine feste Lebensgemeinschaft dar, ein geschlossenes System gleichsam, in dein besondere Lebens- und Glaubensformen ihre Berechtigung haben können. Der Orden bietet zudem eine ganz andere Sicherheit für seine Mitglieder und nimmt Verantwortung für sie wahr, etwa für den Fall von Krankheit und für das Alter, was bei der Mitarbeiterschaft einer verhältnismäßig lose organisierten Gemeinschaft wie UBF nicht möglich ist.
Die Frage, ob man UBF als „Gemeinde“ – und damit als eigene Denomination oder religiöse Gemeinschaft – ansehen kann, legt sich deswegen nahe, weil UBF-Mitarbeiter selbst von Gemeinde sprechen: die Leiter stellen sich als Gemeindeleiter vor, die Mitarbeiter bringen zum Ausdruck, daß sie sich einer Gemeinde angeschlossen haben. Auf Handzetteln findet man die Bestimmung: „Die UBF ist eine internationale und überkonfessionelle Studentengemeinschaft ...“ oder „... eine internationale Studentengemeinde ...“ Am Sonntag werden Gottesdienste gehalten (auch wenn sie am Nachmittag stattfinden und so formal die Möglichkeit gegeben ist, am Vormittag an kirchlichen Gottesdiensten teilzunehmen). Bei der Durchführung von Amtshandlungen scheint sich eine gewisse Entwicklung anzubahnen. Das Abendmahl wird in den Gruppen „noch nicht“ gefeiert, wie von Verantwortlichen gesagt wurde; Taufen werden dann durchgeführt, wenn jemand noch nicht christlich getauft ist (also Anerkennung der Kindertaufe); Hochzeiten werden groß gefeiert.
Obwohl also durchaus Merkmale von Gemeindestruktur vorhanden sind, treten die Mitarbeiter von UBF nicht in die UBF-Gemeinschaft ein. Sie behalten in der Regel ihre angestammte Kirchenmitgliedschaft; Kirchenaustritt spielt keine Rolle, wie die Verantwortlichen selbst betonen. Doch praktisch wird die UBF-Gemeinschaft ihr inneres und „gemeindliches“ Zuhause. Von der zeitlichen Beanspruchung her dürfte es sowieso unmöglich sein, noch Beziehungen zu einer anderen Gemeinde aufrecht zu erhalten.
Wenn es aber so ist, daß UBF für ihre Mitglieder die Funktion der Gemeinde, also der Glaubensgemeinschaft, übernimmt, dann ist das Engagement, das hier gelebt wird, zu einseitig. In einer Gemeinde müssen sich verschiedene Gaben entfalten können, sie muß vielfältige Angebote haben und muß alle Generationen umfassen. Eine Gruppe, die nur aus missionarisch aktiven – und zwar nur in der Studentenmission tätigen – Mitarbeitern besteht, kann nicht als Gemeinde angesehen werden, schon gar nicht als Gemeinde im biblischen Sinn.
Was also ist UBF? Eine missionarische Aktionsgruppe – doch mit enger Gemeinschaftsbindung; eine religiöse Gruppe mit hoher Verbindlichkeit – doch ohne den Schutzraum einer „Ordensgemeinschaft“; Gemeinde im Selbstanspruch – doch nicht als Ermöglichung für umfassende christliche Gemeinschaft und für die Entfaltung verschiedener Gaben und Kräfte. Diese Diskrepanzen sind nicht nur formaler Art, vielmehr liegen in ihnen tiefgreifende Konflikte begründet.
Die menschliche Seite
Es wäre gewiß interessant, im einzelnen den Motiven nachzugehen, die junge Leute zur Mitarbeit bei UBF bewegen oder die sie wieder aus der Gruppe herausführen. Hierzu ein paar abschließende Beobachtungen.
Sicher gibt es immer wieder Leute, die sich für ein Bibelstudium interessieren: christlich motivierte Studenten, die hier eine Möglichkeit zur Vertiefung ihres Bibelwissens sehen; aber auch Fernerstehende, die die Bibel kennenlernen wollen. Und es gibt junge Menschen, die auf persönliche Zuwendung reagieren – vielleicht, weil sie sich gerade in einer Krisensituation befinden. Sicher hat das Bibelstudium manche zu einem persönlichen Glauben geführt, andere haben die biblische Vertiefung, die sie sich erwarteten, auch gefunden. Viele werden wieder weggehen, weil ihnen der Stil zu schematisch oder zu autoritär ist, weil sie sich nicht so persönlich auf Glaubensfragen ansprechen lassen wollen, weil sie schon anderswo in einer christlichen Gemeinde oder Gemeinschaft engagiert sind und dort bleiben wollen, oder einfach, weil sie die Universität wechseln.
Darin mag es Leute geben, die sich ganz bewußt für eine Mitarbeit bei UBF entscheiden, weil sie hier die Art von Verbindlichkeit und Engagement gefunden haben, die sie, wie sie sagen, gesucht haben oder die ihnen entspricht. In der schützenden Umgebung der festen Gruppe mögen manche sich innerlich stabilisieren und positiv entfalten.
Schwieriger ist es auf jeden Fall für schwache und labile Menschen, die sich in der Regel – vor allem, wenn sie gerade in Krisensituationen stehen – durch autoritäre Gruppen besonders anziehen lassen. Wohl finden sie die Führung, die sie gerade brauchen, kommen aber immer tiefer in Abhängigkeiten hinein und haben darin nicht die Kraft, sich aus der engen Gruppenbindung wieder zu lösen. Durch gesetzliche Forderungen und seelischen Druck, auch einfach durch starken Leistungsdruck, kann es zu psychischen Schädigungen kommen. In diesem Zusammenhang ist vor allem zu fragen, ob die „Hirten“ für diese seelsorgerliche Verantwortung vorbereitet sind, so daß sie auf Personen, die psychisch labil oder krank sind, entsprechend eingehen können. Auch wenn sich eine Gemeinschaft vorrangig dem missionarischen Auftrag verpflichtet weiß, kann sie sich diesen menschlichen Aufgaben nicht einfach entziehen.
Sicher ist, daß bei der Einschätzung einer Gemeinschaft wie UBF gerade die menschlichen und praktischen Seiten mitberücksichtigt werden müssen. Wohl bestehen hinsichtlich der evangelikalen Lehrgrundlage und der missionarischen Zielsetzung viele Übereinstimmungen mit anderen evangelikalen Gruppierungen, die auf Allianzbasis arbeiten. Doch möchten wir UBF nicht auf dieselbe Stufe gestellt sehen wie etwa die »Studentenmission in Deutschland« (SMD) oder »Campus für Christus«.
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